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Im Gedicht:

"Der alte
Geschichtenerzähle
r"

Autor: Karsten Herrmann
Datum: 22.02.2014
E-Mail: nicht verfügbar




Es kam diese aufklarende Februarnacht,
hatte wieder diesen schrecklichen Klang mitgebracht.
Sirenen heulten, Menschen hasteten schneller,
wollten nur noch zum Schutz in die Keller.

Dröhnendes Grollen war überall zu hören,
Düsendröhnen vermischte sich mit Donnerchören.
Die Bombeneinschläge wurden immer mehr,
und die vierjährige Lene weinte so sehr.

Noch verschlafen wimmerte sie in Mutters Arm,
das Kellergewölbe war schon gefüllt seit dem Alarm.
Sie fanden einen Platz zwischen gehäuften Steinen,
aber die kleine Lene hörte nicht auf zu weinen.

Viele murmelten beschwörend in das Dunkel,
was ab und zu aufhellte war Kerzengefunkel.
Einschlagsdonner hörten sie über sich ziehen,
da setzte sich ein alter Mann mit Bart zu ihnen.

Die weinende Lene hatte ihn aufmerksam gemacht,
so nahm er besänftigend ihre Hand ganz sacht.
Er summte eine lieblich klingende Melodie zu ihr,
und bastelte für sie eine Puppe, aus ‘ner Art Stoffpapier.

Es wurde eine Puppe mit Flossenschwanz,
eine kleine Meerjungfrau im blautürkisenen Glanz.
Sie hatte hellblondes Stofflockenhaar,
mit einem zart knitternden Lächeln, wunderbar.

Der Alte tat beruhigende Worte auswählen,
und begann eine kleine Geschichte zu erzählen.
Dabei war er noch näher an sie herangerückt,
und hatte Lene die Puppe in die Hand gedrückt.

Es war die Geschichte der kleinen Meerjungfrau,
nur, dass sie jetzt schwimmen würde im Kellerbau.
Sie hieß Lene und das Dunkel hier wäre ihr Meer,
und nach oben könne sie erst mal nicht mehr.

Erst wenn der wütende Drache davonfliege,
und das Meer wieder ruhig, friedlich über ihr liege.
Er hatte eine Erzählgabe, die sie gleich verstand,
eine letzte Träne rann dabei aus ihrem Augenrand.

Er hatte aus ihr die kleine Meerjungfrau gemacht,
und ihrer Mutter ein wenig Entspannung gebracht.
Er zeigte auf die funkelnden Kerzenlichter,
diese wären jetzt suchende Fischaugengesichter.

Sie würden nach der kleinen Meerjungfrau schau ‘n,
was sie so treibe, hier im dusteren Meeresraum.
Die kleine Lene fing nun an zu lächeln,
wobei der Drache noch laut war am Hecheln.

Da zeigte der Alte mit dem Finger nach oben,
meinte zu Lene bald wäre Schluss mit toben.
Sie schmiegte sich nun vertraut kuschelnd an ihn,
und wirklich das Donnergrollen tat in die Ferne ziehen.

Als seine Geschichte langsam auf das Ende traf,
merkte er, dass die Zwei war ‘n im Schlaf.
Beruhigend legte er seinen Mantel über beide,
wenig später gingen die Angriffe zur Neige.

Die Entwarnung war wie immer eine Freude,
überall sah man vor Glück weinende Leute.
Nur eine Mutter mit Kind schaute erschrocken,
der Alte tat nicht mehr neben ihnen hocken.

Lene konnte es gar nicht fassen,
da war sein Mantel, den hatte er dagelassen.
Sie hob die Puppe hoch, drückte sie an sich ran,
und sprach: „Wo ist nur der liebe Mann“.

Überall fragten sie, ob ihn jemand hätt gesehen,
aber alle verneinten, wollten ihrer Wege gehen.
Lenes Mutter zog sich nun den Mantel an,
weil sie glaubte, dass sie ihn noch finden kann.

Aber mehrere Kellergewölbe waren verbunden,
und so wurde er leider nicht mehr gefunden.
Oben sah man nun den großen Schrecken,
Feuersbrünste schossen aus allen Ecken.

Leichengeruch und Rauch schwebte durch die Luft,
bis in den Himmel stieg das Feuerrot der Höllengruft.
Lenes Mutter hüllte ihre Kleine in den Mantel ein,
und rannte Richtung Elbe, vorbei am Flammenschein.

Ihr Haus war zerstört, brannte völlig nieder,
Lene angstvoll frug: „Kommt der Drache wieder“?
Ihre Mutter beruhigte sie und sagte: „Aber nein“,
darauf sie: „Ich will für immer eine Meerjungfrau sein“.

Den nächsten Tag zogen sie aufs Land,
wo man bei einer Cousine ein neues Zuhause fand.
In der Nähe war ein See, für Lene natürlich das Meer,
es war wie im Traum, es wurde ihr Meerjungfrauenflair.

Mit ihrer Puppe spielte sie hier oft das Märchen nach,
wobei sie dann immer wie dieser liebe Alte sprach.
Sie vergaß diesen Mann nie mehr im Leben,
denn er hatte ihr so viel in einer Nacht gegeben.

Seit über dreißig Jahren
schreibt Lene nun selber Gedichte und Geschichten,
mahnend auch über diese Nacht,
was ein Krieg auslöst, tut sie erlebnisnah berichten,
wie schmerzvoll er Leid und Tot entfacht.


Aber für Kinder schreibt sie
märchenhafte Zaubergeschichten,
über Meerjungfrauen, immer im wandelbaren Kleid,
die oft von alten bärtigen Königen berichten,
mit reifer Güte und Lieblichkeit.