An die jungen Dichterinnen (s.a. Hölder(in): 'An die jungen Dichter')

Lieben Schwestern, damit unsere Worte erhört werden,
die wir schon als Kinder im Herzen trugen:
lasset dieselben reifen zur Wahrheit, Stille und Schönheit;
aber vor allem, Mädels, lebet nicht gar so fromm wie die
'Klarissen-Kapuzinerinnen der ewigen Anbetung
im Kloster Bethlehem zu Koblenz-Pfaffendorf'!

O, denkt freundlich von den Menschen,
doch verachtet die Götter nicht.
Hasset den Krieg, jewede Gewalt,
das vernichtende Feuer und alles Laute und Grobe,
lehrt und beschreibet nicht, dichtet!
Merket: Dii oderunt, quem paedagogum fecerunt.
(Den hassen die Götter, den sie zum Schulmeister
gemacht haben)
Liebet eure Feinde, aber verhätschelt sie nicht.

Falls ihr solltet ängstigen euch vor den mächtigen
Kritikern und Neidern dieser großen weiten Welt,
geht hinaus in die mütterliche Natur und befraget das Meer
oder die Bäume um Rat, sucht Trost bei den Sonnenblumen
und dem Klatschmohn (Blume des Jahres 2017, sic!)

Schlaget auf einen dicken Wälzer mit den Werken
der Alten, die schon hinübergeschlummert sind ins
Ewige Leben, lasset eure Zeigefingerchen
wandern über die hehren Zeilen und inspirieren
zu neuen Schöpfungen, dem 'Noch-Nie-Dagewesenen',
wenngleich die holden Jahreszeiten immer wiederkehren,
jahrein, jahraus; so sind doch ein jeder Frühling, ein
jeder Herbst, ein jeder Sommer, ein jeder Winter,
eine jede neue Liebe speziell - und würdig, mit
unverbrauchten Worten gepriesen zu werden. -

Vivite fortes! (Lebt tapfer!)
Scribentem iuvat ipse labor, minuitque laborem!
(Freut doch beim Schreiben die Arbeit selbst und verringert die Drangsal)
(s.a. Hölder(lin): 'An die jungen Dichter')